Das Ziel dieser Arbeit war eine genauere Erforschung der hochgradig metamorphen
Gneise des Oberpfälzer Waldes im nordöstlichen Bayern und der von Ceský
Les im westlichen Böhmen. Für die Untersuchungen wurden Struktur-, Strain-
und Vortizitäts-Analysen zusammen mit einer gesonderten Studie der weitverbreiteten
Migmatisierung der Gneise verwandt.
Die Deformationsgeschichte des untersuchten Gebietes läßt sich in fünf
einzelne Hauptphasen unterteilen, die von einigen kleinen und nur lokal
auftretenden Deformationsereignissen gefolgt wurden. Die dritte Deformationsphase
war, aufgrund der mit ihr verbundenen Strain-Menge und der Menge der neu
entstandenen Strukturen, das wichtigste tektonische Ereignis. Sie ist zeitgleich
mit der Niederdruck (3-4 kbar) / Hochtemperatur (>750°C)-Metamorphose, die
auf 330-320 Ma datiert wurde. Die letzten Deformationsphasen traten vor
dem Einsetzen des spätvariszischen Plutonismus auf.
Es lassen sich zwei deutliche Texturen erkennen, die offensichtlich prä-D3
sind. Da sich nicht entscheiden läßt, ob es sich bei der älteren der beiden
um die ursprüngliche sedimentäre Schichtung handelt, wird sie als S0/1 bezeichnet.
Deformationen D1 und D2 werden in dieser Arbeit immer zusammen behandelt,
da in den meisten Aufschlüssen eine Differenzierung von Texturen die älter
als D3 sind nicht möglich war. In nur wenigen Aufschlüssen sind F1/2-Falten
in tektonischen "Strain-freien" Enklaven erhalten. In diesen Aufschlüssen
kann beobachtet werden, daß die D1/2 ostvergente enge Falten mit subhorizontal
SSW einfallenden Faltenachsen erzeugte. Durch Zurückrotieren der F1/2-Faltenachsen
in ihre ursprünglichen Positionen vor D3 (dies Verfahren ist möglich, da
die F1/2-Falten als elongierte "Boudins" während D3 passiv in die Hauptstreckungsrichtung
rotiert wurden), kann gezeigt werden, daß sie ursprünglich subhorizontal
nach NNE eintauchten. Interne planare Gefüge von prä-D3 Granaten, deren
Einschlüsse Hinweise auf ein Mitteldruck (7 bis 8 kbar)-Ereignis zeigen,
werden ebenfalls der D1/2 zugeschrieben.
Die Hauptdeformationsphase D3 ist für eine regionale, penetrative S3-Foliation
verantwortlich, die beinahe vertikal ist und typischerweise NW-SE bis NE-SW
streicht und ebenfalls für eine L3-Streckungslineation, die steil nach NW
einfällt. Eine mylonitische S3-Textur wurde während der D3 durch Neuwachstum
und Reorientierung sämtlicher Minerale des Gneises erzeugt. Quarze zeigen
eine Schachbrett-Subkörnung, die indikativ für eine Deformation unter Hochtemperaturbedingungen
ist.
Der Beginn der Migmatisierung war zeitgleich mit der Entwicklung der S3,
aus diesem Grund wurden die im Rahmen der Deformation entstehenden Strukturen
durch die Entstehung foliationsparalleler stromatitischer Leukosome noch
verstärkt.
D4 verursachte eine großräumige Verfaltung der S3-Foliation (die Hälfte
ihrer Wellenlänge erstreckt sich über 4 km), obwohl eine neue S4-Gefüge
nur begrenzt und lokal ausgeprägt ist. Die F4-Falten sind enge Vertikalfalten
mit um 60° nach NW einfallenden Faltenachsen.
F5 Falten verursachten eine kleinräumige Wiederverfaltung der F4-Falten,
mit ebenfalls steilen Faltenachsen (Einfallen nach NW bzw. NE, abhängig
von dem jeweiligen F4-Faltenschenkel auf dem sie liegen) und einer vertikalen
Faltenachsenfläche. Kleine duktile flach liegende Scherzonen ohne konstanten
Schersinn beschließen die regionale Deformation.
Im Zottbachtal, einem 10 km langen Flußeinschnitt zwischen Pleystein und
Floß im Norden des Untersuchungsgebietes, wurde eine Serie von retrograd
metamorphen Gneisen (die Diaphthorit-Zone) beobachtet, die noch eine dominante
S3-Foliation besitzen jedoch auch horizontal crenuliert sind. Entlang der
Westböhmischen Scherzone ist der östliche Kontakt zwischen dem Moldanubikum
und dem Teplá-Barrandium zu vertikal einfallenden Chevron (Zick-Zack)-Falten
aufgefaltet.
Strain-Markierungen, die die Strain-Menge seit Beginn der D3 wiedergeben,
zeigen verschiedene Strain-Mengen, jedoch weisen sie zumeist auf eine Ebene-Strain-Deformation
hin. Diese Beobachtung ist für spätere tektonische Modellierungen des Arbeitsgebietes
wichtig.
Nur drei Vortizitätsmessungen konnten ausgeführt werden, für die eine Methode,
die auf den individuellen Deformationsgeschichten eines Satzes verschieden
orientierter Gänge basiert, verwendet wurde. Messungen in XZ- und XY-Schnitten
von D3-Texturen und in einem XZ-Schnitt einer D1/2-Textur zeigen, daß die
Deformationen einen großen, wenn nicht ausschließlichen Anteil an einfacher
Scherung enthielten.
Die Deformationen in den großen Aufschlüsse von retrograden Eklogiten und
Serpentiniten bei Winklarn und Niedermurach sind einander ähnlich, jedoch
verschieden von den Deformationsgeschichten der typischen moldanubischen
Gneise die weiter oben beschrieben wird. Im Steinbruch von Winklarn wird
eine Serie von Metabasiten, die mit Metapeliten wechselgeschichtet sind,
eng und mit vertikaler Faltenachse mit migmatitischen metasemipsammitischen
Gneisen verfaltet. Diese werden durch eine Störung von ungefalteten Serpentiniten
abgegrenzt. Bei Niedermurach werden helle Orthogneise und hochmetamorphe
Kalksilikatgneise in einen Serpentinitkörper eingeschoben. Hier können keine
Hinweise auf großmaßstäbliche duktile oder brüchige Verlagerung des Hochdruckgesteins
erkannt werden.
Im allgemeinen wurden fünf Migmatisierungsstile erkannt. Die einfachste
Form sind die weitverbreiteten foliationsparallelen stromatitischen Leukosome.
Diese Leukosome entstanden als ein Resultat von Aufschmelzung im geschlossenen
System (geschlossen in Bezug auf die Schmelze), entlang von foliationsparallelen
Scherbrüchen. Die Menge der Aufschmelzung entlang des Leukosoms ist proportional
zur Entfernung von der Spitze des Bruches, jedoch nicht symmetrisch um die
lange Achse des Leukosoms verteilt. Ein Model wird erarbeitet, bei dem sich
ein elliptisches Protoleukosom unter einfachen Scherbedingungen entlang
einer Foliationsfläche, die die Richtung der höchsten tangentialen Spannung
auf den Schmelzkörper darstellt, entwickeln kann. Eine Abwandlung der stromatitischen
Leukosomform stellt die Entwicklung von zusätzlichen Leukosomen im 30° Winkel
zur Foliation dar. Die Entstehung dieser läßt sich durch den Spannungszustand,
der sich während der einfachen Scherung zwischen den stromatitischen Leukosomen
entwickelt, erklären.
Netzartige Leukosome bilden ein offenes Kanalnetz. mit einem größeren Schmelzvolumen
als die zuvor beschriebenen Leukosomtypen. Massive Leukosome sind Schmelzkörper,
die bis zu 10 m dicke Kanäle bilden.
In einer Anzahl von Beispielen werden die netzartigen Leukosom-Strukturen
durch eine Fraktaldimension von 1,81 ±0,1 über zwei Größenordnungen beschrieben,
wobei der Schnitt durch den Gneis irrelevant ist. Diese Strukturen können
unter Verwendung des Menge'schen Schwammes, eines hypothetischen dreidimensionalen
Musters mit einer Fraktaldimension von 2,7, theoretisch betrachtet werden.
Mit Hilfe der Fraktalgeometrie kann gezeigt werden, daß netzartige Leukosome
ein gutes Transportsystem für Schmelzmigration bilden. Ein 5 x 5 km großes
Gebiet zwischen Waldmünchen und Furth im Wald wird als Beispiel benutzt,
um Schmelzmigration im Moldanubikum zu quantifizieren. Ein 5 m breiter Leukosomkanal
mit ausreichender Schmelzzufuhr könnte innerhalb von 10 Ma mindestens 2,2
km3 granitisches Magma liefern.
Mit Hilfe eines Profiles durch das Moldanubikum zwischen seinen Kontakten
mit der ZEV- und der ZTT-Einheit und durch die theoretische Entfernung der
letzten Hauptdeformationsphasen, D4 und D3 läßt sich sagen, daß wenn die
ZEV ein Deckenkomplex des Teplá-Barrandiums ist, diese Decke vor der Niederdruck-Metamorphose
über das Moldanubikum überschoben worden ist.
Die D3-Deformation, obwohl ein kompressives Ereignis, erzeugte keine wesentliche
Verdickung (oder Verdünnung) der variszischen Kruste. Zusammen mit der Tatsache,
daß die Niederdruck/Hochtemperatur-Metamorphose innerhalb weniger als 10
Ma geschah, ist eine beinahe katastrophale Mantelperturbation zu vermuten.
Ein Modell für die variszische Entwicklung des Moldanubikums und seiner
benachbarten tektonischen Einheiten wird vorgestellt, wobei das Teplá-Barrandium
und ein möglicher Hochdruck-Nappe-Komplex bereits vor 380 Ma über das Moldanubikum
geschoben worden waren. Die resultierende Kollage wurde anschließend, 50
Ma später, durch eine regionale penetrative Hochtemperatur-Metamorphose
und eine intensive Deformation in einem relativ hohen Krustenstockwerk überprägt.